Dann schreibt doch endlich „Täg“, ihr Feiglinge!

In der Markus-Lanz-Sendung vom 26.4.2017 berichtete der Journalist Hajo Schumacher von den Herausforderungen der Vaterrolle. Es entspann sich folgender Dialog über Geburtstagsfeiern:

S: Ich hab die Jungs zum Läiserteck eingeladen. Ich hab mir also mein Pazifistentiischört angezogen weil ich das grundsätzlich ablehne mit der Gewalt…

L: (unterbricht) Ach Läiserteck heißt das, ich hab das ja in Ihrem Buch gelesen und hab dann Läisertag gelesen und dachte was soll das fürn Tag sein.

S: Nein, nicht Läisertag, neinnein das ist schon Englisch!

(Publikum lacht, klatscht)

L: (lachend) Danke! Läisertäg!

S: (amüsiert) Das machen wir nächstens, ja? Derderderden nicht den Lesetag…

L: Lesetag!

S: …das würde grobe Enttäuschung mit sich bringen. – Die Jungs kriegen so Blinkwesten an und so ne Flinte und müssen dann in so ner Fabrikhalle in so ner halbdunklen rumballern.

L: Kenn ich. Schlimm!

S: Wie gesagt als Pazifist kann man das nur ablehnen…

L: Total.

In der Tat. Diese total schlimme Sprachverirrung kann ich als Pazifist auch nur mit aller Gewalt ablehnen. Was für ein Gestammel! Was für ein saudämliches Missverständnis! Und warum? Nur weil die Deutschen aufgrund ihres nationalen Minderwertigkeitskomplexes zu feige sind, das englische Wort [tæg], geschrieben tag, in deutschen Texten als Täg wiederzugeben, obwohl sich durch diese Schreibweise Verwechslungen mit dem deutschen Wort Tag auf einfache Weise vermeiden ließen. Stattdessen lässt man es lieber zu solch peinlichen analphabetischen Verwechslungen kommen. Ich zitiere dazu aus meinem Text Sprachwandel, Rechtschreibung, Aussprache und die neue Sprachideologie:

Die Folgen der Bevorzugung der englischen Rechtschreibung in Deutschland am Beispiel Tag

Das englische Wort tag ([tæg]) z.B. wird in deutschen Texten als Substantiv gewöhnlich nur insoweit angepasst, dass man es wegen der Großschreibung Tag schreibt. Daraus ergibt sich jedoch ein Homograph mit dem deutschen Wort Tag. Homographe sind Stolpersteine beim Lesen und können zu Missverständnissen führen. Was liegt da näher, als das englische Wort einfach Täg zu schreiben? So entspricht es ja schließlich auch den deutschen Rechtschreibregeln. Doch kein Mensch (außer mir) traut sich dazu, weil keiner die „heilige“ englische Rechtschreibung antasten will, denn über diese haben angeblich nur die Briten und Amerikaner zu entscheiden – als ob es irgendeinen Briten oder gar Amerikaner auch nur im Geringsten interessieren würde, wie man in Deutschland englische Wörter schreibt. Lieber nimmt man in Deutschland in Kauf, dass die Zahl der deutsch-englischen Homographe steigt und steigt (einschließlich der altsprachlichen und romanischen Wörter im Englischen sind es hunderte), während die Lesegeschwindigkeit sinkt, die Missverständnisse zunehmen und die maschinelle Übersetzung kapituliert.

Die versuchte Anpassung an die englische Rechtschreibung führt bei tag zu absurden Folgen. Schriebe man Täg, könnte man daraus ganz einfach die Verb-Schreibung tägen ableiten und die zugehörige Perfektpartizip-Schreibung getägt. Bleibt man aber bei der Schreibung der Stammsilbe nach der englischen Rechtschreibung, folgt daraus für das Verb die Schreibweise tagen und für sein Perfektpartizip getagt. Schon hat man zwei weitere Homographe.

Stattdessen schreiben die Deutschen allerdings taggen und getaggt. Doch nicht, um Homographen zu vermeiden (dann würden sie ja auch Tagg schreiben) sondern nur weil sie glauben, das verdoppelte g würde der englischen Rechtschreibung entsprechen, in der nämlich ein Vokalbuchstabe nach dem Silbenendkonsonanten den Vokal vor dem Konsonanten diphthongiert und die Verdoppelung des Konsonanten die Diphthongierung wieder aufhebt. Entsprechend schreibt man im Englischen die Partizipien nicht taging und taged, sondern tagging und tagged. Tagen würde also nach der englischen Laut-Buchstaben-Zuordnung [tɛıʤn] ausgesprochen, was eine völlig falsche Lautung des gemeinten Wortes wäre, sodass taggen durchaus logisch ist.

Doch auf getaggt trifft die Regel schon nicht mehr zu, weil hier kein Vokal im Spiel ist (Vergangenheitsmorphem -t). Anstatt wie eigentlich gewollt der englischen Rechtschreibung zu folgen und getagt zu schreiben, stellen die Deutschen nun ihre naive eigene Regel auf und glauben dabei auch noch, sie würden dem Englischen genügen: „Wenn im Englischen das Partizip mit gg geschrieben wird, muss ich das im Deutschen ja auch tun.“ Oder sie argumentieren wahlweise rein pseudodeutsch: „Wenn im Infinitiv die Stammsilbe tagg– geschrieben wird, dann muss das im Partizip ja genauso sein.“ Dabei übersehen sie, dass das zweite g bereits nicht mehr zur Stammsilbe gehört, sondern nur ein eingefügter Hilfsbuchstabe ist.

Vernebelt wird der Blick der Deutschen bei taggen auch durch das Problem, dass sie sich angewöhnt haben, den englischen Vokal [æ] bei vielen Wörtern nicht als langes [ɛ:] zu sprechen (wobei [ɛ:] innerhalb der deutschen Phonologie die beste Annäherung an den Originallaut ist) sondern als kurzes [ɛ], was sowohl im Englischen als auch im Deutschen ein völlig anderes Phonem ist. Diese Ausspracheänderung hängt vermutlich mit einem Lautwandel des Standarddeutschen zusammen, der in einer Vermeidung des langen [ɛ:] besteht. Allerdings wird es bei diesem Lautwandel durch das lange geschlossene [e:] ersetzt, wie in [ke:zə]. Bei englischen Wörtern jedoch trauen sich die Deutschen dazu nicht und sagen lieber [ɛ], weil es nicht ganz so auffällig anders klingt als der englische Laut. (Wieder ein Anzeichen für die Sonderbehandlung des Englischen in Deutschland.) Falsch ist es allerdings umso mehr, da [ɛ] im Englischen wie erwähnt ein anderes Phonem darstellt als [æ] (vgl. bad vs. bed). Aber wenn man schon [tɛgən] mit kurzem Vokal spricht, ist die Schreibweise taggen natürlich naheliegend, da man sie dann pseudodeutsch auch so interpretieren kann, dass die Konsonantenverdopplung einen kurzen Vokal markiert. Nach englischer Rechtschreibung müsste man [tɛgən] jedoch teggen schreiben.

(Der Duden übrigens widerspricht sich bei der Aussprache wieder mal selbst: Er schreibt [tæg] und [tægn̩], aber [tɛgɪŋ]!)

Das Beispiel sollte verdeutlichen:

Das kompromisslose Festhalten an der englischen Rechtschreibung bei englischen Fremdwörtern in deutschen Texten macht die Texte mit steigender Anzahl der Fremdwörter umso schwerer lesbar. Die Deutschen versuchen außerdem, bei der Verbindung von englischen und deutschen Morphemen der bizarren englischen Logik der Beziehung zwischen Buchstabenfolge und Lautfolge zu genügen. Dabei bringen sie allerdings teils aufgrund mangelnder Sachkenntnis, teils aufgrund selbstverschuldeter Gedankenlosigkeit englische und deutsche Rechtschreibregeln durcheinander, und heraus kommt ein beiden Regelwerken und sich selbst widersprechendes, schwer zu lesendes Durcheinander. (Am Idiotischsten ist das fälschliche Weglassen des diphtongierenden e in Formen wie gehypt, gepierct oder getimt: Aua aua aua!)

Doch was tun die Rechtschreibexperten vom Rechtschreibrat oder der Duden-Redaktion und die Sprachwissenschaftler dagegen? Nichts.

PS: Habe ich eigentlich schon darauf hingewiesen, dass man das „Wort“ Laser (welches in Wahrheit nur ein Akronym ist) im Deutschen mit Fug und Recht mit [a:] aussprechen darf? Genauso nämlich wie Radar. Komischerweise finden die Deutschen nichts dabei, Laser aufgrund der genannten [e:]-Tendenz fälschlicherweise wie Leser auszusprechen, auch wenn das zu Missverständnissen führen kann, scheuen aber die korrekte Aussprache mit [a:]. Obwohl: Feigheit ist gar nicht komisch.

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