Stefanowitschens Herren-Witz

Ein typisches Verhalten verbohrter Ideologen ist, dass sie in Bezug auf ihre Ideologie keinerlei Spaß verstehen und sich weigern, ironische Bemerkungen darüber als solche zu begreifen, sondern diese bierernst nehmen.

Ein taz-Autor hat nun in seiner Kolumne „Männer“ eine harmlose Glosse zum Thema sinkender Respekt der Gesellschaft vor alten Männern geschrieben, die von Anatol Stefanowitsch anschließend voller Empörung zerrissen wurde. Glossen wirken mit den Stilmitteln der Ironie und der Übertreibung. Und was macht Stefanowitsch, der Sprachprofi? Er legt jedes Wort des Textes auf die Goldwaage und nimmt jede Behauptung so ernst, als handele es sich statt einer Glosse um eine wissenschaftliche Abhandlung. Und er bewertet den Text gleichzeitig so, als sei er eine üble Polemik, die unbedingte Gegenrede erfordert. Tatsächlich veröffentlicht Stefanowitsch seine eigenen Polemiken häufig unter der Kategorie Glosse. Damit ist er bereits der zweite mir innerhalb kurzer Zeit begegnende Sprachwissenschaftler, der Glosse und Polemik mit voller Absicht in einen Topf wirft. Denn wenn man nicht zwischen beiden Arten unterscheidet, kann man Meinungswettbewerbern, die sich eigentlich ganz friedfertig benehmen, ein aggressives Verhalten andichten, um sie in ein schlechtes Licht zu rücken. Schreibt man selber eine Polemik und verkauft sie als Glosse, funktioniert der Effekt mit umgekehrten Vorzeichen. (Natürlich kann ein Text auch Polemik und Glosse zugleich sein, worauf in einer Kategorisierung dann aber hinzuweisen ist.)

Konkret missfällt dem taz-Autor, dass in seiner eigenen politisch hochkorrekten Zeitung trotz zur Schau gestellter Ablehnung diskriminierender Sprache Päpste als alte Säcke bezeichnet wurden – und das offenbar ganz unironisch und unverblümt verächtlich (kann ich mangels taz-Zugriff nicht nachprüfen). Seine Einschätzung, dass heutige Journalisten mit noch-so-alten Päpstinnen galanter umgehen würden, ist glaubwürdig, auch wenn ein direkter Vergleich aus kirchentechnischen Gründen nicht möglich ist. Den ungerechten Unterschied im sprachlichen Umgang, der allein im Geschlecht begründet ist, wollte er anhand dieses Beispiels zum Ausdruck bringen.

Dies tut er glossenentsprechend nicht nüchtern-sachlich, sondern pointiert-überspitzt, ironisch-augenzwinkernd und mit manchmal bewusst (!) einseitigen Darstellungen oder vorgetäuschten Argumenten. Zum Beispiel behauptet er, dass die Bezeichnung alte Schachtel im Vergleich zu alter Sack geradezu „putzig“ sei. Stefanowitsch stellt sofort klar, das Schachtel hier natürlich nichts anderes bedeutet als Vagina – und die sei mindestens genauso unputzig wie der Sack. Er beschwört hier auf Etymologie beruhend (wie er nicht im Artikel, aber im zugehörigen Forum schreibt) eine mittelalterliche Bedeutung herauf, die heute kaum noch jemandem bewusst ist und damit weitgehend irrelevant. Sonst ist er ja immer der erste, der betont, dass Sprache und Bedeutungen sich wandeln müssen. Aber es ist sein alter Trick: Er gräbt solange in der Vergangenheit herum, bis er ein „Beweisstück“ gefunden hat, dass seine These scheinbar untermauert. Wenn man ihm dann vorwirft, das sei doch Vergangenheit, trumpft er auf, indem er sagt „Ihr Sprachnörgler wollt doch selber die Vergangenheit erhalten“ (habe ich ihm jetzt in den Mund gelegt). Nur ist er ja gerade kein sogenannter „Sprachnörgler“. Und da er die Argumente der Sprachnörgler ablehnt, darf er sich auch nicht darauf berufen, selbst dann nicht, wenn er Sprachnörgler überzeugen will. Ein Wissenschaftler darf nicht Argumente verwenden, an die er selber nicht glaubt. Es mag ja sein, das alte Schachtel im Mittelalter ursprünglich eine sexuelle Bedeutung hatte, aber heute ist das eben nicht mehr der Fall. Im Gegenteil: Im Unterschied zu alter Bock betont alte Schachtel nicht das Sexuelle, sondern das Unsexuelle. Alte Schachteln sind eben gerade keine Sexobjekte und erst recht keine Sextäterinnen. Aber Stefanowitsch würde wahrscheinlich einwenden, dass gerade dieser Unterschied wieder eine Diskriminierung, nämlich sexuelle Unterbewertung alter Frauen im Vergleich zu alten Männern bedeutet. Nein, das ist nicht der Fall, denn beide Ausdrücke sind auf ihre geschlechtsspezifische Weise abwertend, und der Unterschied beruht auf den gegebenen verschiedenen biologischen Entwicklungen von Männern und Frauen, die nun mal nicht wegzudiskutieren sind.

Die Deutung des alten Sacks als Testikel (um mal beim schamhaften Latein zu bleiben), die vom taz-Autor nahegelegt wird, ist ihrerseits vermutlich nicht ernst gemeint, sondern um der Pointe willen vorgetäuscht (sagte ich schon, dass es sich um eine Glosse handelt?), weshalb Stefanowitschens Bemühen, es dem Testikel mit der Vagina bundesweit heimzuzahlen, vollkommen überflüssig ist. Und falls der taz-Autor doch an die Testikel-Etymologie glaubt, ändert das nichts an der Richtigkeit seiner Beobachtung, nur dass der Stein des Anstoßes dann eben etwas kleiner ausfällt.

Sodann stellt Stefanowitsch zwei Aufzählungen von diskriminierenden Bezeichnungen für alte Frauen bzw. Männer einander gegenüber, die glauben machen sollen, dass Frauen die wahren Diskriminierungsopfer seien, weil die Frauenliste angeblich länger und beleidigender ist. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten begeht er dabei zwei Unlauterkeiten. Erstens versucht er, durch die größere Länge der Liste für Frauen gegenüber der für Männer eine höhere Häufigkeit anti-weiblicher Ausdrücke zu suggerieren, obwohl die meisten davon nur alle Jubeljahre mal im Sprachgebrauch verwendet werden. Ich jedenfalls habe Ausdrücke wie altes Reff und alte Schese noch nie gehört oder gelesen (oder so selten, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann), und auch Google erbringt sehr geringe Trefferzahlen. Als Korpuslinguist, dessen täglich Brot das Vergleichen von Worthäufigkeiten ist, untertrifft Stefanowitsch damit seinen eigenen wissenschaftlichen Standard (wobei er in seinem Forum andeutet, dass er alles beweisen könnte, wenn er wollte – aber das genügt nicht als Beweis). Doch auch wenn die Worthäufigkeiten der Alte-Frauen-Pejorative insgesamt tatsächlich größer sein sollten, würde das noch lange nicht bedeuten, dass alte Frauen in unserer Gesellschaft schlechter angesehen sind als alte Männer. Denn es wurden in der Vergangenheit nun mal weit mehr Texte von Männern veröffentlicht als von Frauen, sodass die männliche Perspektive in Texten vorherrscht. Diese Tatsache ist aus feministischer Sicht natürlich auch ein Skandal, aber es ist eben ein anderes Problem und betrifft auch wieder hauptsächlich die Vergangenheit. Weiterhin kann man nicht Männer dafür verantwortlich machen, wenn Frauen keine saftigen Pejorative für das andere Geschlecht einfallen. Zweitens wendet Stefanowitsch auf die Ausdrücke für alte Männer verharmlosende Umwertungen an: Alter Esel sei liebevoll, alter Bock der einzige sexualitätsbezogene Begriff und dazu noch anerkennend. Sowas geht gaa nich! Man kann nicht einfach an den Konnotationen schrauben, wie es einem gerade passt, und das dann als allgemein akzeptierte Definitionen ausgeben. Zudem betrachtet er aus Bequemlichkeit nur solche Ausdrücke, die mit alt beginnen, sodass etwa der Lustgreis unter den Tisch fällt.

Anschließend wird Stefanowitsch richtig bekloppt: Erst behauptet er, dass der taz-Autor alter Sack und alte Dame einander „gegenüberstellt“, was schon nicht stimmt, denn der taz-Autor vergleicht letzteres mit alter Mann. Und dann bringt er (Stefanowitsch) noch die zwei Bedeutungen von vergleichen durcheinander wie ein Anfänger. Zwei Dinge miteinander vergleichen kann einerseits bedeuten, die Unterschiede herauszuarbeiten, andererseits aber auch, die Gemeinsamkeiten zu betonen. Der taz-Autor wollte das erstere, also die Unterschiede betonen – und nun belehrt Stefanowitsch ihn, dass es ja wohl wenig Gemeinsamkeiten gäbe. Weia!

Als nächstes begeht Stefanowitsch gleich wieder einen Denkfehler. Es geht dabei um die in den Medien oft wiederholte und vom taz-Autor zitierte Behauptung, Frauen würden sich immer häufiger deutlich jüngere Männer suchen und sich damit über das angebliche alte patriarchalische Gesetz, dass nur der männliche Partner deutlich älter sein darf, selbstbewusst hinwegsetzen. Der taz-Autor meint zu beobachten, dass die Kombination älterer-Mann/jüngere-Frau zunehmend negativ bewertet wird, die Kombination ältere-Frau/jüngerer-Mann dagegen zunehmend positiv, was eine Umkehrung der Ungleichbehandlung der Geschlechter erkennen lässt. Stefanowitsch stellt erst zutreffend fest, dass die Kombination ältere-Frau/jüngerer-Mann nach wie vor selten auftritt, sodass das sogenannte Cougar-Phänomen praktisch nur eine Medienphantasie ist. Diese Tatsache soll nun wieder die Argumentation des taz-Autors entkräften. Doch dem taz-Autor ging es bei diesem Phänomen mitnichten um die Realität, sondern um die Darstellung in den Medien. Stefanowitsch hat das nicht begriffen, obwohl der taz-Autor sich ausdrücklich auf eine Fernsehserie bezieht.

Seit einigen Jahren läuft in Deutschland ein Propagandafeldzug der antikonservativen Meinungsmacher gegen alte weiße Männer (wahlweise auch christliche w. M. oder mächtige w. M.), an dem Stefanowitsch sich selber aktiv beteiligt. Sogar Cicero (!) wird von ihm als Vertreter der angeblichen jahrtausendealten Weiße-Männer-Verschwörung angeprangert. Der Propagandafeldzug zeigt seine Wirkung: Viele junge Frauen und ganz besonders junge Migrantinnen, denen eingeredet wurde, dass in Deutschland bis vor einer Generation noch mittelalterliche Zustände geherrscht hätten und die Unterdrückung von Frauen und Ausländern an der Tagesordnung gewesen sei, stellen alte weiße Männer unter Generalverdacht und glauben das Recht zu haben, diese öffentlich des Sexismus oder Rassismus beschuldigen zu können, wie es ihnen gerade passt. Die Stern-Kampagne gegen Rainer Brüderle ist ein Paradebeispiel für eine Alter-weißer-Mann-Attacke. Und die hysterische Reaktion der Aufschreierinnen auf die nüchternen, zur Gelassenheit mahnenden Worte des alten weißen Bundespräsidenten Gauck auch. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Bundespräsidentin Gesine Schwan sich so etwas gefallen lassen müsste, wäre dagegen gleich null. Denn sie ist kein alter Mann, sondern ein alte Frau. Alten weißen Männern wird heute von vielen Jüngeren unterstellt, noch den angeblichen alten frauen- und ausländerfeindlichen Vorurteilen nachzuhängen. Für alte Frauen gilt das nicht. In Sachen Frauenfeindlichkeit sieht man sie natürlich nicht als Täter, sondern als Opfer, und bei der Ausländerfeindlichkeit geht man davon aus, dass sie bei Frauen weniger ausgeprägt ist, weil Opfer sich mit Opfern solidarisieren (denkt man). Stefanowitsch macht also mit bei der Hetze gegen alte (christliche, mächtige) weiße Männer, bezweifelt aber, dass irgendjemand darunter leiden müsste. Wahrscheinlich rechnet er Diskriminierung gegen Diskriminierung auf: Wenn zweimal eine Frau diskriminiert wird und einmal ein Mann, dann wird nach seiner Arithmetik einmal eine Frau diskriminert und keinmal ein Mann. Aber diese Denkweise ist unzulässig, da es sich jeweils um verschiedene Personen handelt und deshalb jeder Fall unabhängig betrachtet werden muss. Außerdem lassen sich Quantitäten und Qualitäten der verschiedenen Diskriminierungsfälle nicht objektiv messen. Die angebliche Übermacht der Frauendiskriminierung bleibt eine bloße Behauptung.

Das, was früher als natürliche und deshalb akzeptable männliche Sexualität galt, wird heute immer mehr als unerträglicher Sexismus ausgelegt und in den Medien wortreich Männern zum Vorwurf gemacht. Diese Feststellung von mir wird ja wohl niemand bestreiten. Die ganze #Aufschrei-Aktion war ein einziger Vorwurf an das männliche Sexualverhalten. Die Herrenwitz-Kampagne des Stern gegen Rainer Brüderle war ein Vorwurf an das Sexualverhalten eines einzelnen Mannes. Wem ein Vorwurf gemacht wird, der ist gezwungen, sich zu rechtfertigen, wenn er nicht als Schuldiger dastehen will. Eine Rechtfertigung ist also die geforderte Reaktion auf einen Vorwurf. Und jetzt kommt Stefanowitsch mit einem Schlusssatz, der so „unterirdisch verblödet“ (AS), so „durchsichtig merkbefreit“ (AS), so „schlecht recherchiert“ (AS) und „derartig absurd“ (AS) ist, dass „man ernsthafte Zweifel hegen muss“ (AS), ob er Stefanowitschens Hirn „durchlaufen hat, bevor er freigeschaltet wurde“ (AS):

Männer müssen sich für ihre Sexualität“ – wait for it – „nicht rechtfertigen“.

Das ist bestenfalls ein Herren-Witz, aber ein schlechter.

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6 Antworten zu Stefanowitschens Herren-Witz

  1. Alter Sack schreibt:

    Sehr intelligente Analyse. Mit Stefanowitsch lässt sich meiner Erfahrung nach nicht diskutieren, schon gar nicht wissenschaftlich. Wer anderer Meinung ist, der ist eben von vorneherein im Unrecht. Basta. Dass es genügend Leute gibt, die sich mit einer Professorenbezeichnung über dieses Defizit hinwegtäuschen lassen, ist schade, lässt sich aber nicht ändern.

    Mich würde interessieren, ob er seine Lehrveranstaltungen so hält, wie er bloggt. Dann hätte er meiner Meinung nach an einer Universität nichts verloren.

    • Sanduhr schreibt:

      Hallo Alter Sack

      Hier kannst du gucken:

      • re2tko2vski schreibt:

        Hilfe! Die Fratze des Grauens auf meinem eigenen Weblog?

        Womit hat der das verdient, hier im Porträt erscheinen zu dürfen, während ich in sèinem Forum nicht mal unter Pseudonym schreiben darf?

      • Sanduhr schreibt:

        Tschuldigung re2tko2vski, war nicht meine Absicht. Ich habe nur den Weblink reinkopiert und schon haben wir a view to a kill.

        Warum schreibst du eigentlich so oft das e als è?

        • re2tko2vski schreibt:

          „Warum schreibst du eigentlich so oft das e als è?“

          Wenn das Wort betont werden soll.

          Bei „ein“ bzw „èin“ ist es die Unterscheidung zw. Artikel und Zahlwort. Die ist im Dt. leider nicht ohne Betonung erkennbar. Vgl. Engl. „he owns a house“ vs. „he owns one house“, Dt. „er besitzt ein Haus“ vs. „er besitzt èin Haus“.

          Habe ich vom Niederländischen abgeguckt:

          http://taaltelefoon.vlaanderen.be/nlapps/docs/default.asp?id=3449

          PS: Bei meinem gestrigen Kommentar zum „Recyceln“ sind durch einen Formatierungsfehler ein paar entscheidende Zeichen verlorengegangen. Ich habe es dann nochmal editiert.

  2. Spinozafreund schreibt:

    Spitzenreplik! Merci!

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